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Zur Erinnerung an

Erzbischof Dr. Eduard Profittlich SJ

von Lambert Klinke, Gießen


Exzellenz, sehr geehrter Herr Bischof Spital, sehr geehrter Herr Generalvikar Monsignore Jourdan, sehr geehrter Herr Pater Provinzial Meures, sehr geehrter Herr Pfarrer Görres, hochwürdige Herren, sehr geehrter Herr Profittlich, sehr geehrte Angehörige aus der Familie Profittlich, meine sehr geehrten Damen und Herren!

Es wird Sie alle vielleicht ein wenig verwundern, wenn ich mein Referat mit der Feststellung einleite, daß es Erzbischof Eduard Profittlich ganz sicher nicht recht gewesen wäre, daß wir ihn an seinem heutigen 60. Todestag mit einem eindrucksvollen Pontifikalamt und diesem Festakt ehren. So wie er es in seinen Briefen und Predigten immer wieder formuliert hat, würde er uns vielmehr dazu auffordern, "unser Leben vor Gott in den Blick zu nehmen". Und neben dem, was dennoch über den Glaubenszeugen und Märtyrer Eduard Profittlich gesagt werden muß, sollten wir gerade dieses am heutigen Tag auch tun, immer in dem Glauben, daß die menschliche Leidensgeschichte ein Teil der Leidensgeschichte Christi ist. So müssen wir es dann auch wagen, diese Leidensschichte anzusprechen und uns zu ihr vor dem Angesicht Gottes klagend und betend zu bekennen, immer im Vertrauen auf den gekreuzigten und auferstandenen Christus, der uns seine Erlösung zugesagt hat.

Ich bin Herrn Pfarrer Görres und der Gemeinde St. Stephanus sehr dankbar, daß sie den heutigen Tag zum Anlaß genommen haben, um an einen leidenschaftlichen Priester und bescheidenen Bischof zu erinnern, der vor mehr als 110 Jahren in dieser Pfarrei geboren ist, der hier in dieser Kirche vor 80 Jahren, am 30. August 1922, seine Primiz begangen und vor nahezu 65 Jahren, am 16. Mai 1937, sein erstes und letztes Pontifikalamt in seiner Heimat gefeiert hat. Und nicht zuletzt deshalb, weil es auch in seiner Heimatpfarrei viele Jahrzehnte so still um Erzbischof Eduard Profittlich war, will ich auf die Gedächtnislosigkeit unserer Umgebung verweisen. Was überliefert wird und vielleicht noch in den Geschichtsbüchern steht, erscheint häufig veralt et oder ist weithin vergessen. Der heutige Mensch wird tagtäglich mit tausend und mehr Informationen überschüttet, die er weder vollständig aufnehmen, geschweige denn verarbeiten kann. Auch di e Tatsache, daß wir immer stärker zur Informationsgesellschaft werden, läßt den Sinn für bleibend Gültiges und historisch Bedeutendes zusehends verblassen. Die negativen Wirkungen einer schnellebigen Zeit dürfen daher nicht unterschätzt werden. Aufgrund dieses ständig stärker werdenden Phänomens erscheint es angezeigt, gegen die Gefahren eines s e lektiven Erinnerns eb e nso anzugehen wie gegen eine Geschichtslosigkeit, der entscheidende Maßstäbe verloren zugehen drohen. Insgesamt sollte dabei gelten: Ohne Herkunft keine Zukunft, denn eine Zeit ohne Gedächtnis wird ihre Tiefe verlieren. Und so danke ich Ihnen allen von Herzen, daß Sie heute so zahlreich anwesend sind.

Als Johannes Paul II. am 10. November 1994 das Apostolische Schreiben Tertio millenio adveniente unterzeichnete, richtete sich sein Augenmerk auf die heilsgeschichtliche Bedeutung der Sendung Jesu Christi für die gesamte Menschheit. Von daher war es ihm im Hinblick auf das Heilige Jahr 2000 auch ein besonderes Anliegen, Männer und Frauen dem Vergessen zu entreißen, die in einem leidgeprüften und durch zwei Weltkriege zerrissenen Jahrhundert um des christlichen Glaubens willen von Verfolgung und Tötung heimgesucht worden sind. So verwundert es nicht, wenn gerade auch von kirchlicher Seite aus der Versuch unternommen wird, der stärker werdenden Geschichtsvergessenheit entgegenzuwirken, unser Gedächtnis zu reinigen, um so jener Christen im "Jahrhundert der Wölfe" (Nadeshda Mandelstam) zu gedenken, die für die Wahrheit des Glaubens den gewaltsamen Tod erlitten haben. Diese Glaubenszeugen widerstanden der lauernden Versuchung, das elementare Recht auf Leben z u mißachten und die sittlichen Maßstäbe zu zerbrechen, weil ihnen das Apostelwort vor dem Hohen Rat vor Augen stand: "Man muß Gott mehr gehorchen als den Menschen" (Apg 8,29).

Nachdem Erzbischof Eduard Profittlich am 27. Juni 1941 um 02.00 Uhr nachts von acht schwerbewaffneten Soldaten abgeführt wurde, hat sich die Familie nahezu fünfzig Jahre bemühen müssen, um Aufklärung über sein Schicksal zu erhalten. Und so sind gerade einmal knappe elf Jahre vergangen, daß sie am 12. Juni 1990 die Nachricht erhielt, daß Eduard Profittlich heute vor sechzig Jahren, am 22. Februar 1942, in Kirov, einer Stadt am Ural, 800 km nordöstlich von Moskau, gestorben ist. Sehr viel mehr wissen wir über diesen Tag trotz aller Bemühungen bis heute nicht und wir müssen annehmen, daß er zusammen mit anderen Gefangenen auf einem Feld nahe dem Gefängnis verscharrt wurde. So traurig wir über diese Umstände sind, umso mehr dürfen wir aber auch sicher sein, daß über diesem Tag für den Erzbischof selbst ein helles Licht stand, vielleicht sogar ein Licht, daß alles, was er bis dahin erleiden und ertragen mußte, überstrahlt hat. Zu schrecklich waren die Erfahrungen, die er machen mußte. Die miterlebten Morde an Mitgefangenen, die Folter, der Hunger, die tägliche Demütigung, das ließ sich nicht einfach vergessen und wegstecken. Kirov steht für den Wahn eines Unrechtsystems, das alle Intellektuellen in den baltischen Staaten auslöschen wollte. Kirov steht für die Ermordung von Esten, Letten und Litauern, von Angehörigen anderer Nationen, von Menschen, die als "Feinde des Regimes" gebrandmarkt wurden. Aber Kirov steht auch für einen Menschen, der aus einem normalen, alltäglichen Leben heraus versucht hat, seinen Weg zu gestalten, die Aufgaben, die er übernehmen mußte, zu erfüllen, der sich aber, als es zum Entscheidungsprozeß kam, zum Glauben an den dreifaltigen Gott und zur Gemeinschaft der Kirche bekannt und diesen Glauben dann bis zur letzten Konsequenz, bis zur Hingabe seines Lebens bezeugt hat, gerade auch im Einsatz für andere Menschen.

Eduard Profittlich wurde als achtes von zehn Kindern des Ehepaares Dorothea, geborene Seiwert, und Markus Profittlich in eine alteingesessene Bauernfamilie geboren. Nach Beendigung der Volksschule hier in Leimersdorf wurde er ab 1904 von Lorenz Buhr, dem damaligen Pfarrer, für die Quarta des Progymnasiums in Ahrweiler vorbereitet. Von dort wechselte er zu Ostern 1909 in die Obersekunda des Gymnasiums in Linz, wo er im Jahr 1912 seine Reifeprüfung ablegte. Ebenso wie sein Bruder Peter, der 1915 als Missionar in Brasilien verstarb, wollte er mit dem Wunsch Ordenspriester zu werden in die Gesellschaft Jesu eintreten. Entsprechend den Bitten seiner Eltern, die glaubten, von ihm als Weltpriester in ihren finanziellen Nöten ein wenig unterstützt werden zu können, trat er jedoch in das Trierer Priesterseminar ein. Auf das wiederholte Drängen ihres Sohnes, er hatte seine Motive letztmalig am 04. Februar 1913 in einem Brief an seine Mutter dargelegt und dabei das Versprechen abgegeben, die sich daraus ergebende Entscheidung seiner Eltern als endgültig anzusehen, stimmten diese dann schließlich doch seinem sehnlichen Wunsch zu, so daß Eduard Profittlich schließlich am 11. April 1913 in das Noviziat der Jesuiten in 's Heerenberg eintrat. Weil er schon einen Teil seiner theologischen Studien absolviert hatte und die Ordensoberen aufgrund des beginnenden Ersten Weltkrieges eine "Unterbrechung der gewöhnlichen Ordnung" befürchteten, wurde er bereits am 20. September 1914 zur Hochschule der Jesuiten nach Valkenburg geschickt. In dieser Zeit wurde Eduard Profittlich von seinen Mitbrüdern als "ein lieber, hilfreicher Kamerad" charakterisiert, "der gerne lacht und nie ein Spielverderber ist, auch wenn er sich ziemlich für sich hält, weil er so gerne Probleme wälzt." Am 04. Januar 1916 empfing er schließlich im Hohen Dom zu Trier von Bischof Hermann Döring, der ebenfalls Jesuit war, die Tonsur sowie die Weihe zum Subdiakon.

Nach einer militärischen Grundausbildung und seinem Kriegsdienst als Krankenpfleger und Operationsgehilfe im Lazarett Verziers nahm Eduard Profittlich nach Ende des Krieges wieder seine philosophischen und theologischen Studien in Valkenburg auf und wurde dort am 26. März 1922 vom Kölner Erzbischof Karl Josef Kardinal Schulte zum Diakon und am 27. August 1922 vom Roermonder Bischof Lorenz Schrijnen zum Priester geweiht. Am 30. August 1922 feierte er schließlich hier in St. Stephanus sein erstes feierliches Meßopfer. In einem Brief an seinen Provinzial am Tag nach seiner Priesterweihe schrieb er damals, daß ihn der Entschluß für die Gesellschaft Jesu zwar einige Jahre des Priestertums gekostet habe, ein anderer Weg als der des Jesuiten für ihn aber nie denkbar gewesen wäre.

Nachdem Papst Pius XI. im September 1922 das Pontificio Istituto di Studi Orientali dem Jesuitenorden anvertraut hatte, meldete sich der Neupriester Eduard Profittlich freiwillig für einen Einsatz in der Rußlandmission und wurde deshalb zu weiteren vorbereitenden Studien nach Krakau geschickt, wo er am 19. Juni 1923 zum Doktor der Philosophie sowie am 18. Juli 1924 zum Doktor der Theologie promoviert wurde. Inzwischen hatte sich jedoch für den Hl. Stuhl die Notwendigkeit ergeben, aus "Opportunitäts- und partiellen Gründen" gegen den Kommunismus in Rußland einzuschreiten, was einen dortigen Einsatz von Eduard Profittlich unmöglich machte, so daß er nach seinem Terziat in Czechowice-Dziedzice (September 1924 bis Juni 1925) vom August 1925 bis zum März 1928 als Volksmissionar, Exerzitienmeister und Prediger in Oppeln eingesetzt wurde. Dort erfuhr er schließlich am 09. März 1928 von seiner Berufung nach Hamburg, wo er Kaplan an St. Ansgar (Kleiner Michel) mit der besonderen Aufgabe der Polenseelsorge wurde. In der Hamburger Niederlassung der Gesellschaft Jesu legte er dann auch am 02. Februar 1930 die ewige Profeß ab. Nicht zuletzt aufgrund seiner intensiven Arbeit und seines Einsatzes für die Menschen, weswegen ihm in Hamburg wie auch vorher in Oppeln eine besondere Wertschätzung entgegengebracht worden war, vor allem aber wohl aufgrund seiner Erfahrungen in der Polenseelsorge (fast alle Gemeindemitglieder in Estland waren polnischer Herkunft), wurde Eduard Profittlich am 04. Dezember 1930 vom damaligen Apostolischen Administrator für Estland, Erzbischof Antonino Zecchini SJ, als Pfarrer an die Pfarrei St. Peter und Paul nach Tallinn (Reval) berufen. Die zweite Pfarrei in Estland, Maria Empfängnis in Tartu, wurde zunächst von P. Henri Werling SJ, ab 1931 dann von Bayerischen Kapuzinern betreut.

Die katholische Kirche Estlands, in der Folge der Reformation nahezu vollständig liquidiert, gehörte seit dem 15. April 1783 mit ihren beiden kleinen Gemeinden in Tallinn und Tartu (Dorpat) zur Erzdiözese Mohilev, bevor sie am 22. September 1918 in die neugegründete Diözese Riga eingegliedert wurde. Im Jahr 1921 entsandte Papst Benedikt XV. mit dem späteren Erzbischof Antonino Zecchini SJ einen Apostolischen Visitator für die Gemeinden in Estland, der dann am 25. Oktober 1922 von Papst Pius XI. zum Apostolischen Delegaten für die drei baltischen Staaten und mit der Errichtung der Apostolischen Administratur für Estland am 01. November 1924 schließlich zum ersten Apostolischen Administrator (mit Sitz in Riga) ernannt wurde.

Auch mit dem Hintergrund der verstärkten Bemühungen des Hl. Stuhls um die Orthodoxie in den Ländern, wo sich die katholische und orthodoxe Kirche räumlich begegneten, wurde Estland am 11. Mai 1931 als "besondere Apostolische Nuntiatur" der Commissio Pro Russia unterstellt und Eduard Profittlich zum neuen Apostolischen Administrator ad nutum Sanctae Sedis ernannt. Auch wenn die Seelsorge durch die geringe Anzahl der Katholiken, ihre Vielsprachigkeit und ihre Zerstreuung über das ganze Land ungemein erschwert war, entwickelte sich mit dem neuen kirchenrechtlichen Status ein ereignisreicher und fruchtbarer Aufbau der katholischen Kirche in Estland. Recht schnell begann sich auch die allgemeine Öffentlichkeit für die Arbeit von Eduard Profittlich zu interessieren, seine Predigten wurden auch von Andersgläubigen gerne besucht und das katholische Monatsblatt Kiriku Elu (dt. "Leben der Kirche"), das er schon bald herausgab, wurde vor allem von der estnischen Intelligenz gerne gelesen. Recht schnell entstanden weitere Pfarreien in Narva (Narwa), Pärnu (Pernau), Rakvere (Wesenberg), Petseri (Petschur), Valga (Walk) und Kiviőli, wobei vor allem die Anzahl der estnischen Katholiken wuchs. So wirkten in Estland im Jahr 1934 bereits zehn katholische Priester, dazu kamen polnische und tschechische Ordensschwestern, die verschiedene Kindergärten und die Administratur sowie später auch die Nuntiatur in Tallinn betreuten. Einen besonderen Schwerpunkt sah Eduard Profittlich in der religiösen Erziehung der Jugend, wobei er für regelmäßige Religionsstunden sorgte, die er in fünf Sprachen in vier verschiedenen Schulen erteilte. Außerdem machte er einen ersten Versuch mit einem Kinderheim, in welchem unter der Leitung von Ordensschwestern vier Mädchen und sechs Knaben auf Kosten der Pfarrei erzogen wurden. Später strukturierte er dann das Kinderheim vollständig um und eröffnete mit Rücksicht auf die Notwendigkeit der Herausbildung eines einheimischen Klerus ein Knabenkonvikt für fünfzehn Personen, wobei die Führung des Hauses so große Anerkennung fand, daß auch nichtkatholische Eltern um die Erziehung ihrer Kinder baten. Über diese Zeit sprach Eduard Profittlich später als "schwierigsten Teil im Weinberg des Herrn", wobei er seine Arbeit aber auch "als hoffnungsvoller für Christi Reich als anderswo" bezeichnete.

Neben seiner umfassenden pastoralen Tätigkeit bemühte sich Eduard Profittlich zu dieser Zeit in langwierigen Verhandlungen auch um die rechtliche Absicherung der katholischen Gemeinden, was am 06. Mai 1932 zur Anerkennung eines Diözesanverbandes Katoliku Kirik Eestis (dt. "Katholische Kirche Estlands") führte. Am 28. September 1933 honorierte Papst Pius XI. dieses vielfältige Engagement von Eduard Profittlich um den schwierigen Aufbau der katholischen Kirche in Estland und ernannte ihn während einer Privataudienz zum Apostolischen Protonotar. Neben dem weiterhin stetig steigenden Interesse der estnischen Bevölkerung an der katholischen Kirche entwickelten sich in der Folgezeit aufgrund mehrerer Initiativen Eduard Profittlichs auch die diplomatischen Beziehungen zwischen dem Hl. Stuhl und der Republik Estland äußerst positiv, wobei in diesem Zusammenhang vor allem seine Bemühungen um den Abschluß eines Konkordates hervorzuheben sind. Nachdem der Hl. Stuhl schließlich am 12. Juli 1935 eine Apostolische Nuntiatur in Tallinn errichtet hatte, "entsprach es der nunmehrigen Lage, als oberste Vertretung der katholischen Kirche in Estland ebenfalls einen Bischof zu ernennen." So wurde am 27. November 1936 der Status der Apostolischen Administratur bestätigt und Eduard Profittlich zum Titular-Erzbischof von Hadrianopolis in Haemimonto ernannt. Seine Konsekration erfolgte am dritten Weihnachtsfeiertag, dem 27. Dezember 1936, in der Pfarrkirche St. Peter und Paul in Tallinn durch Erzbischof Antonino Arata, dem Apostolischen Nuntius in Estland und Lettland, unter der Assistenz von Bischof Jazeps Rancans, Weihbischof in Riga, und Bischof Guelihelmus Cobben SCJ, dem Apostolischen Vikar für Finnland.

So sehr man sich auch hier in Birresdorf und Leimersdorf über die Bischofsernennung von Eduard Profittlich freute, der damalige Bürgermeister telegrafierte, daß es eine besondere Freude ist, "daß ein Deutscher, ein Sohn des Kreises Ahrweiler, ein Birresdorfer, von der Vorsehung zu einer solch hohen Würde berufen worden ist", umso unglücklicher war er selbst. Behagtem ihm schon nicht die "violetten Knöpfe" eines Prälaten, wie er einmal seinem Bruder Stefan schrieb, paßte die Vorstellung, nun "Mitra und Stab" zu tragen, gar nicht in sein Bild von einem gewinnenden und überzeugenden Priester. So mußte sich dann der Nuntius bei einem an die Bischofsweihe anschließenden Essen auf die Bemerkung, daß Eduard Profittlich nun als Bischof seine bescheidene Wohnung seiner Würde entsprechend einrichten solle, auch die Antwort gefallen lassen: "Die Zeiten, in der man die Seelen durch schöne Wohnungen bekehrt, sind lange vorbei. Und wenn ich wirklich einmal eine brauche, werde ich meinen Nuntius bitten, mir seine auszuleihen."

Galt Eduard Profittlich in den Augen seiner Gemeindemitglieder auch schon als Apostolischer Administrator als "Bischof von Estland", entwickelte er in den folgenden Jahren ein besonderes Gespür für den Leitungsdienst, den er in zwei Aufgaben verwirklicht sah: Zum einen wollte er den vielfältigen Gaben des Geistes Gottes, der in den Vielen wirkt, in seiner Kirche Raum schaffen, zum anderen wollte er dafür Sorge tragen, daß die Vielen zusammenwirken und sich auf das gemeinsame Ziel ausrichten. Und in allen Dokumenten, die uns bekannt sind finden wir, daß dieser Anspruch von Eduard Profittlich zur Wirklichkeit wurde. So schrieb der von 1920 bis 1958 amtierende Erzbischof von Riga, Antonijs Springovics, über ihn: "Aus dem so gewinnenden und überzeugenden Priester ist auch ein gewinnender und überzeugender Bischof geworden. Er wurde für seine kleine Gemeinde zu einem Segen, weil er als ein wirklicher Pontifex für sie eine Brücke zu Christus baute."

Zu einem jähen Ende dieser fruchtbaren Arbeit von Erzbischof Eduard Profittlich kam es schließlich im Jahr 1939 mit dem teuflischen Hitler-Stalin-Pakt, in dem das Schicksal der baltischen Staaten besiegelt wurde. Ein Jahr zuvor glaubten die verantwortlichen Politiker des Westens noch, Hitlers Expansionsdrang durch Zugeständnisse beruhigen und so selbst einem Konflikt entgehen zu können. Doch, was niemand zu glauben wagte, die scheinbar so unvereinbaren ideologischen Positionen wurden auf dem Hintergrund gemeinsamer Interessen überwunden, Hitler und Stalin fanden eine gemeinsame Sprache und teilten in den Verträgen vom 23. August und 28. September 1939 Osteuropa unter sich auf.

Das erste Opfer dieses Paktes war Polen, doch auch im Baltikum bekam man die Folgen sehr bald zu spüren. Die der sowjetischen Interessensphäre zugesprochenen drei baltischen Staaten wurden einen Monat später, Estland am 28. September, Lettland am 05. Oktober und Litauen am 10. Oktober 1940, gezwungen, "gegenseitige Beistandsabkommen" mit der Sowjetunion zu unterzeichnen. Dieses war der erste Schritt zur Liquidierung der Souveränität des Baltikums. In allen drei Staaten wurden Militärstützpunkte eingerichtet, in die Einheiten der Sowjetarmee einrückten. Bereits Anfang 1940 übertrafen die im Baltikum stationierten Soldaten der Roten Armee zahlenmäßig die regulären Armeen der baltischen Staaten. Die Handlungsfähigkeit der Regierungen war dadurch bereits stark eingeschränkt. Während die Sowjetunion die Okkupation vorbereitete, bemühten sich die Regierungen in Tallinn, Riga und Kaunas um das Wohlwollen der sowjetischen Regierung und versuchten alles zu vermeiden, was irgendwie als Provokation hätte gedeutet werden können. Doch umsonst. Und auch die Kirchen in den baltischen Staaten brauchten nicht lange darüber nachzudenken, was sie nun erwarten würde. Wie lange jedoch die Zeit des Terrors dauern würde, konnten sie noch nicht ahnen.

Wenn wir anfangen, uns mit diesem Terror zu beschäftigen, stoßen wir auf ein erstes Gesicht, die Fratze der Gewalt. Was sie anstrebte, war nichts anderes als die totale Ausrottung der Religion. Alle Maßnahmen, die darauf abzielten, wurden von einer wohlformulierten Gesetzgebung abgedeckt, die nur von "Trennung zwischen Kirche und Staat" sprach, dem "Dekret des Sowjets der Volkskommissare vom 23. Januar 1918. Genau dieses war aber das andere Gesicht der Verfolgung neuer Art, eine Verfolgung, die vorgab, Gesetze und Gewissensfreiheit zu achten. In der Tat, je mehr die Staatsgewalt erkennen mußte, daß sie die Kirche nicht zerstören konnte oder daß ihr der politische Preis für die Zerstörung zu hoch wurde, umso mehr griff sie auf falsche Vorwände zurück, um dennoch zuzuschlagen. Sie sprach dann von "Neuordnung der Gesellschaft" oder einer "Ausrottung überkommener Relikte des Ancien Regime". Die Verfolgung verbarg sich so im Kleid sozialer, pädagogischer oder gesetzlicher Vorschriften.

Eduard Profittlich befand sich als Apostolischer Administrator und Erzbischof also in einer Würgeschlange. Dabei schwebte die gewalttätige Verfolgung wie ein Damoklesschwert über seinem Haupt und die eine oder andere Verhaftung eines Priesters zeigte ihm deutlich, daß diese Drohung nicht nur von theoretischer Natur war. Das Existenzrecht der Kirche hing sozusagen am seidenen Faden. Die Staatsgewalt ließ sie zwar leben, allerdings unter strikt einzuhaltenden Bedingungen. So verlangte sie zum Beispiel Entgegenkommen und Dankbarkeit als klassische Methoden des Tyrannen: Die Drohung mit dem Schlimmeren sollte das Opfer dazu bringen, seine Gefangenschaft als das kleinere Übel anzusehen. Der Schatten des Henkers lag nicht nur weiter auf dem Opfer, der Henker selbst erschien als Wohltäter. Das Ergebnis dieses Prozesses war eine Kirche, die nun Gefangene des Regimes war. Dabei war das Besondere an dieser Gefangenschaft, daß sie nicht als solche bezeichnet, sondern nur schweigend gelebt und erduldet werden durfte. Die Kirchenverfolgung in der Sowjetunion anzuprangern war bereits eine Straftat, eine "Verleumdung des Regimes". Unter dem Mechanismus dieser neuen Art der Verfolgung lebte die Kirche in der Sowjetunion bis weit in die Zeit Michail Gorbatschows; deshalb hieß sie zurecht auch die "Kirche des Schweigens".

Daß die Kirchen überhaupt in der sowjetischen Sphäre existieren und sogar ihre Organisation erhalten konnten, ist vielleicht die einzige Ausnahme von der allgemeinen sowjetischen Theorie und Wirklichkeit. Es war unvorstellbar, daß irgendeine andere Organisation, die als Feind des Sowjetstaates angesehen wurde, in der UdSSR bestehen konnte oder daß eine andere Freiheit, die nicht mit den Zielen der Sowjetunion oder der kommunistischen Partei in Einklang stand, ausgeübt werden konnte. Dessen ungeachtet waren Kirchen verschiedener Bekenntnisse, obwohl stark in ihrer Tätigkeit behindert und zur strengen Beaufsichtigung, Kontrolle und Demütigung durch das atheistische sowjetische Regime verurteilt, immer noch in der Sowjetunion vorhanden, wobei die in den Kirchen zusammengeschlossenen Gläubigen den Angehörigen der herrschenden kommunistischen Partei einschließlich der kommunistischen Jugendorganisationen an Zahl um ein Vielfaches überlegen war.

Will man diese Zustände verstehen, muß man drei Komponenten kennen, aus denen die religiöse Lage der baltischen und aller anderer Staaten der Sowjetunion resultierte: Bodenloser Haß gegen jede Religion, ob christliche oder nichtchristliche, anerzogene unmenschliche Grausamkeit gegen jeden Andersdenkenden und das beständige Streben, jede religiöse Verfolgung vor dem Weltgewissen zu tarnen. Das erste und zweite Moment kennt jeder vom Augenschein, der in einem kommunistischen Staat gelebt hat. Dem dritten, der Tarnung vor der Weltöffentlichkeit, dienten die schon in den ersten Tagen der roten Invasion gemachten feierlichen Versprechungen der Religions- und Gewissensfreiheit, sowie des § 124 der Stalinistischen Konstitution, der jedem Sowjetbürger die Gewissensfreiheit garantierte. Die Wirklichkeit freilich zeigte als klares, unverrückbares Ziel die Beseitigung der Religion aus der menschlichen Gesellschaft. Die Methode war dabei die, daß die gesetzgeberische und Verwaltungstätigkeit des Staates und das eigenmächtige Vorgehen einzelner Personen Hand in Hand gingen und einander ergänzten. Dabei sollte die Religion auf dreifache Weise bekämpft werden: durch die moralische Untergrabung in der Öffentlichkeit, durch die wirtschaftliche Niederrringung der kirchlichen Organisation und durch die Einschüchterung, Behinderung und Beseitigung des Klerus. Dem ersten und zweiten Ziel dienten mehr die im kommunistischen Staat straff zusammengefaßten öffentlichen Machtmittel, das dritte Ziel, war mehr Gegenstand der Einzelinitiative der kommunistischen Funktionäre.

Gleichzeitig mit den feierlichen Versprechungen der Gewissensfreiheit erfolgte in Reden und in der Presse die gröbste Verspottung alles Heiligen und Religiösen sowie der Geistlichkeit. Durch Enteignung aller Druckereien, der Unterdrückung der gesamten religiösen Presse, der Verweigerung jeglicher Druckerlaubnis für religiöse Schriften, der fast gänzlichen Vernichtung der Pfarrbibliotheken auf der einen Seite, durch Reden in Versammlungen, durch die Mitwirkung der gesamten Tagespresse und des Zeitschriftenwesens, durch Verbreitung vieler Drucksachen, durch die staatlicherseits eingerichteten vollständig antireligiöser Museen auf der anderen Seite wuchs die religionsfeindliche Propagandamacht ins Unermeßliche. Die Behörden duldeten und unterstützten dabei alle möglichen Gewalttätigkeiten gegen die Kirchen, Störungen von Gottesdiensten, Einschlagen von Kirchenfenstern, Absägen von Wegkreuzen und Belästigungen von Geistlichen auf der Straße. Weiterhin folgte durch gesetzliche Maßnahmen der Verbot des Religionsunterrichtes in der Schule, die Abschaffung der kirchlichen Feiertage und die Verlegung des Sonntags.

Diese Verfolgung der neuen Art prägte auch die letzten Jahre des Lebens von Erzbischof Eduard Profittlich. Seine Leidensgeschichte läßt nicht nur die abstrakten Prinzipien erkennen, die die Ereignisse in der Sowjetunion bestimmten. Sie liefert uns auch das Zeugnis eines Lebens im Land der realen Kirchenverfolgung; sie erlaubt uns mitzufühlen, welchen Schrecken und Prüfungen ein Mensch unterworfen, welchen Zweifeln der Glaube eines Christen ausgesetzt werden kann und was für eine erdrückende Last ein Bischof zu ertragen hat, der die volle Verantwortung für seine Kirche spürt.

Am 25. und 31. Oktober 1940 schrieb Erzbischof Eduard Profittlich nach Rom und schilderte die Situation seiner Kirche, nachdem alle in Estland lebenden Deutschen in das Gebiet des "Großdeutschen Reiches" zurückkehren mußten, wobei er selbst damit rechnete, daß die Regierung der UdSSR in Zukunft nicht mehr als drei Priestern die Ausübung ihres Amtes erlauben würde. Zu dieser Zeit wurde Eduard Profittlich, der seit dem 20. April 1935 auch die estnische Staatsbürgerschaft besaß, von der Deutschen Gesandtschaft in Tallinn gedrängt, sich für die Rückkehr nach Deutschland zu entscheiden. Als Grund dafür machte man vor allem geltend, daß die sowjetische Regierung schwerlich die Anwesenheit eines deutschstämmigen Bischofs in einem militärisch so wichtigen Gebiet dulden würde und ihm die Deportation ins Landesinnere oder nach Sibirien so gut wie sicher sei. Erzbischof Eduard Profittlich war jedoch nicht bereit, sich diesem Druck zu beugen, stattdessen schrieb er: "Mit innerlich vollständig ruhigem und bereitem Herzen würde ich mich gerne für das Reich Gottes hier im Lande opfern und bin bereit, alles zu tun, was sich unter den veränderten Verhältnissen für das Reich Gottes arbeiten und leiden läßt." Dabei wollte er jedoch nicht nach "eigenem Gutdünken handeln, sondern im Gehorsam gegen den Heiligen Vater, weil wir dann auch das Bewußtsein haben könnten, den Segen dieses Gehorsams zu haben." Daraufhin telegraphierte Kardinalstaatssekretär Luigi Maglione, "daß der Heilige Vater [Pius XII.] dem Administrator in Estland volle Entscheidungsfreiheit darüber belasse, was er 'im Herrn' für das beste halte." Diese Aussage brachte Eduard Profittlich Klarheit und Sicherheit. Am 10. Februar 1941 schrieb er nach Rom: "Da ich aus dem Telegramm den Wunsch des Hl. Vaters erkannte, daß ich hier bleiben solle, habe ich mich nun endgültig entschlossen, nicht nach Deutschland zurückzukehren. Ich tue das mit großer Bereitwilligkeit, ja ich kann wohl sagen, mit großer Freude. Wenn ich auch in keiner Weise voraussagen kann, wie nun mein Lebensweg verlaufen wird, welche Opfer noch auf mich warten, so gehe ich diesen Weg mit großem Vertrauen auf Gott, fest überzeugt, daß, wenn Gott mit mir gehen wird, ich nie allein sein werde."

Während der Papst am 12. März 1941 noch einen Ermutigungsbrief an Erzbischof Eduard Profittlich schickte, entwickelte sich in Estland die allgemeine Verfolgung zu einem unglaublichen Terror, in dessen Folge mehr als 60.000 Menschen verhaftet, deportiert, gefoltert und ermordet wurden. Hemmungslos und in synchronen Schritten begannen am 14. Juni 1941 um drei Uhr nachts im gesamten Baltikum die Massenverhaftungen und Deportationen. Ein Güterzug nach dem anderen transportierte die Menschen ab, von denen fast alle nie wiederkehrten. Es waren Geistliche, Lehrer, Universitätsangehörige, Rechtsanwälte, Journalisten, Diplomaten, Beamte, Ärzte mit ihren Familien. Man holte sie aus Städten, Kleinstädten und Dörfern. Unaufhörlich fuhren die Lastwagen zu den Bahnhöfen, wo die Väter in andere Güterwagen eingewiesen wurden als ihre Familienangehörigen. So ging es in die Vernichtungslager und Gefängnisse im Osten, obwohl weder Anklage noch Urteil vorlagen. Völlig unschuldig stiegen die Menschen in die Waggons, ohne zu wissen, daß sie bereits Todeskandidaten waren, daß sie in diesem Moment für immer Abschied nahmen, daß sie ihre Kinder, Frauen, Väter zum letzten Mal umarmten. Die Familien wurden vom Säugling bis zum Greis in Viehwaggons tief nach Sibirien gebracht. Oft hatte man ihnen nicht gestattet, auch nur die notwendigsten Dinge mitzunehmen. Verwandte, die versucht hatten, Lebensmittel und warme Kleidung an die Züge zu bringen, wurden niedergeschlagen.

Angesichts dieses Geschehens wurde Eduard Profittlich zur Flucht auf das Land gedrängt, der Erzbischof wollte jedoch noch das Patronatsfest seiner Pfarr- und Bischofskirche feiern (St. Peter und Paul am 28. Juni) und sich erst dann in Sicherheit bringen. Da kam es am 27. Juni 1941 gegen 2.00 Uhr morgens zu einer mehrstündigen Hausdurchsuchung durch acht NKWD-Beamte, in dessen Verlauf mehrere persönliche Gegenstände des Bischofs, seine allgemeine und dienstliche Korrespondenz sowie die Pfarrkarthotek beschlagnahmt wurden. Schließlich wurde Eduard Profittlich mit dem Vorwurf der Spionage für Deutschland und des Verkehrs mit der deutschen Gesandtschaft zur Zeit der Umsiedlung konfrontiert und zum Mitgehen aufgefordert. Der Erzbischof, der längst auf diese Situation gefaßt war, begleitete die Beamten mit der größten Seelenruhe, bat aber darum, noch einmal in die Kirche gehen zu dürfen, wo er sich zunächst am Altar zum Gebet niederwarf, bevor er sich an die ihn begleitenden Ordensschwestern wandte, um sie zu segnen. Wohl mit einer Vorahnung über sein weiteres Schicksal hatte er sich zuvor in einem ergreifenden Brief, der erst nach Jahren über viele Umwege in Deutschland eintraf, von seinen Geschwistern und Verwandten verabschiedet: "Ich hätte es jedem sagen mögen, wie gut doch Gott gegen uns ist, wenn wir uns ihm ganz hingeben, wie glücklich man doch werden kann, wenn man bereit ist, alles Freiheit und Leben für Christus dahin zu geben. Ich weiß, Gott wird mit mir sein. Und dann wird schon alles gut sein. Und mein Leben und wenn es sein soll mein Sterben, wird ein Leben und Sterben für Christus sein. Und das ist so überaus schön."

Wie ich bereits ausführte, herrschte vom Tag seiner Verhaftung an fast fünfzig Jahre Ungewißheit über das weitere Schicksal von Erzbischof Eduard Profittlich. Erst im Zusammenhang mit der Proklamation der erneuten Unabhängigkeit Estlands am 30. März 1990 teilte das Oberste Gericht Estlands der katholischen Kirchengemeinde in Tallinn mit, daß der am 21. November 1941 zum Tode verurteilte und am 22. Februar 1942 am Ort seiner Gefangenschaft Kirov verstorbene Eduard Profittlich vollständig rehabilitiert sei. In diesem Zusammenhang wurde dann auch die Erlaubnis erteilt, den öffentlichen Teil der Verhörprotokolle, Zeugenaussagen und Gerichtsdokumente einzusehen, so daß die letzten Lebensmonate des Erzbischofs rekonstruiert werden konnten. Um die sowjetische Wirklichkeit zu demonstrieren, habe ich dazu eine Passage aus einem der Verhöre übersetzt: "Wurden Sie von Gemeindemitgliedern besucht, die Ihre negative Einstellung zur Sowjetunion teilten?" - "Ja, es besuchten mich einige Gemeindemitglieder, [...] etwa im November oder Dezember 1940 die Frau eines Kaufmanns [...] und erzählte mir, daß man ihnen das Geschäft weggenommen hat und man ihnen nun auch das Haus wegnehmen wolle." - "Das heißt also, daß Sie mit den Menschen Mitleid hatten?" - "Ja, ich hatte Mitleid mit den Menschen." - "Das heißt, Sie hatten Mitleid mit Menschen, die gegen die Sowjetmacht feindlich gesinnt waren?" - "Ja, ich hatte Mitleid mit den Menschen, die leiden mußten, weil man ihnen ihr Heim, ihr Glück weggenommen hatte." - "Wer hat denn die Häuser weggenommen?" -"Diese Häuser wurden nationalisiert." - "Wer hat sie nationalisiert?" - "Auf den Befehl der Sowjetmacht." - "Ach, das heißt, die Sowjetmacht hat von den Kapitalisten die Kaufhäuser genommen?" - "Ja, die Sowjetmacht." - "Das bedeutet also, daß Sie Mitgefühl hatten mit den Leuten, die sich feindlich zur Sowjetmacht verhielten?" - "Ich hatte Mitleid mit allen Menschen, die überhaupt leiden mußten."

Nach diesem, sowie weiteren mehrstündigen, größtenteils nächtlichen Verhören am 02., 21. und 22. August sowie am 29. September und 02. Oktober 1941 wurde am 14. Oktober 1941 in Kirov die Anklage gegen Eduard Profittlich erstellt, mit der er beschuldigt wurde, bei seinen Gottesdiensten "antisowjetische Agitation" betrieben, dabei "die religiösen Gefühle der Massen" ausgenutzt, und "Haß gegen die Sowjetmacht und die Kommunistische Partei" gezüchtet zu haben. Außerdem wurde ihm die "Verbreitung von Defaitismus", die "falsche Berichterstattung von schnellen Siegen der Deutschen und Schlappen der UdSSR im Verlauf des Zweiten Weltkrieges" sowie die "Mithilfe bei der Ausreise katholischen Kirchenpersonals" vorgeworfen. Aufgrund mehrerer Besuche von Eduard Profittlich zu verschiedenen Anlässen in der Deutschen Gesandtschaft beruhte schließlich ein wesentlicher Punkt der Anklage auch auf dem Vorwurf der Spionage. Nach weiteren Verhören und der Gegenüberstellung von einem Mithäftling, der über angebliche "antisowjetische Gespräche" berichtete, wollte der zuständige Untersuchungsrichter am 17. Oktober 1941 die Kriminalverfolgung gegen Eduard Profittlich einstellen, "weil keine Schuld vorliegt." Am 25. Oktober 1941 wurden vom NKWD alle genannten Vorwürfe jedoch noch einmal zusammengefaßt und an das Gericht in Kirov übergeben. In einer weiteren Vernehmung am 21. November 1941 erklärte der Erzbischof dazu: "Als die Sowjetmacht in Estland eingeführt wurde, habe ich mich nicht freundlich dazu verhalten, denn als Geistlicher wußte ich, daß die Sowjetmacht gegen die Religion ist und daß es da keine Rede- und Religionsfreiheit gibt [...]. Während meiner Predigten habe ich dazu aufgerufen, nicht auf die Gottesleugner zu hören, sondern an die Kirche zu denken und für diejenigen zu beten, die religiös verfolgt werden. Ich finde nicht, daß das Propaganda ist, das ist die Wahrheit!" Das Gericht übernahm daraufhin alle Punkte der Anklage und verurteilte Eduard Profittlich "wegen verbotener Mithilfe bei der Ausreise von katholischem Kirchenpersonal" zu fünf Jahren Freiheitsverlust in einem Straf- und Arbeitslager des NKWD sowie "wegen kontrarevolutionärer Tätigkeit und Agitation in der Kirche" zum Tode durch Erschießen ohne Konfiszierung des Eigentums. Obwohl das Urteil formal als "endgültig" galt, wurde eine Beschwerde "innerhalb von 72 Stunden beim Obersten Gerichtshof" zugelassen, welche Eduard Profittlich am 23. November 1941 einreichte. Darin versicherte er "bei allem, was Ihnen und mir heilig ist," daß "subjektiv und objektiv alles von mir gesagte weder Propaganda, noch eine kontrarevolutionäre Agitation war und ich nie etwas sagen oder tun wollte, was der Sowjetunion schaden könnte." Weil er sich nicht schuldig sah, die gegen ihn gemachte Aussage seines Mithäftlings als "sehr undeutlich und unsicher" bewertete sowie "die Tatsachen [behördlich] anders interpretiert" einschätzte, bat Erzbischof Eduard Profittlich schließlich um Vergebung sowie eine "mildere Strafe", bevor er abschließend seinen Verfolgern und Peinigern verzieh.

Mit dieser, in estnischer Sprache abgefaßten Berufung und der Bestätigung, daß Eduard Profittlich das Urteil erhalten hatte, endete der "öffentliche" Teil der Unterlagen. Erstmals am 04. September 1998 war auch ein Einblick in den bisherigen "geheimen" Anhang möglich. Daraus ging hervor, daß die Berufung des Erzbischofs vom Obersten Gericht der Sowjetunion am 16. Januar 1942 abgelehnt wurde. Weitere Unterlagen, die möglicherweise den Erhalt dieser Entscheidung durch Eduard Profittlich selbst oder ein weiteres Vorgehen in Kirov belegen könnten, waren nicht vorhanden, wohl aber ein nicht näher adressiertes, jedoch als "streng geheim" bezeichnetes Schreiben, mit welchem am 24. April 1942 die Entscheidung des Obersten Gerichts auch auf der Ebene der sowjetischen Konföderation bestätigt wurde. Erzbischof Eduard Profittlich hatte zu diesem Zeitpunkt bereits nicht mehr gelebt; ohne weiter zu versuchen, den Leiden und Schmerzen der Verfolgung zu entgehen, starb er völlig entkräftet, trotzdem aber bewußt und bereitwillig, am 22. Februar 1942.

Die Zeit vom 27. Juni 1941 bis zum Tag seines Todes war für Erzbischof Eduard Profittlich ein sehr quälender Abschnitt seines Lebens. Auch wenn es kein unmittelbarer Trost für uns ist, dürfen wir dennoch sicher sein, daß ihn dieser Zeitraum zur einer tiefen Vollendung geführt hat. So haben die Mitgefangenen von Eduard Profittlich berichtet, er teilte mit bis zu 16 Personen die Zelle, daß er nie sich selbst gesehen hat, sondern nur das Leiden der Kirche. Er habe gefühlt, wie die Zeit vorüberging, Tag um Tag, ohne, daß er ein Ende absehen konnte. Und er fragte sich: "Was bedeutet das Martyrium eines Lebens ohne Grenzen, eines Lebens, das immer weiter geht, ohne die Liebe zu Gott, ohne Treue gegenüber der Einheit und Gemeinschaft mit der Kirche, ohne den Dienst am Evangelium."

Eduard Profittlich hat in seiner Zelle sehr gelitten, vor allem an den Anschlägen auf seine Menschenwürde. So machten sich die wachhabenden Soldaten einen Spaß daraus, ihren Spott mit einem katholischen Bischof zu treiben. Er mußte sich auch bei großer Kälte nackt ausziehen und dabei seine Kleider Stück für Stück den Soldaten übergeben. Diese gaben sie aber nicht zurück, sondern warfen sie auf den Boden, von dem der Erzbischof sie erst dann auflesen durfte, nachdem man noch mit den Stiefeln darauf herumgetrampelt hatte. Ebenso machte man sich darüber lustig, daß er, so gut es ihm auswendig möglich war, sein Brevier betete; die Male, in denen er die Hl. Messe feiern konnte, wurden zu einer Tortur für ihn. Die halbe Scheibe Brot, die er manchmal erhielt, aß er an diesen Tagen nur zu einem kleinen Teil, den Rest konsekrierte er. Weil er natürlich auch keinen Meßwein hatte, bat er bei seinen Verhören unter einem Vorwand um Rosinen aus dem Pudding der Wachen, die er dann auspreßte.

Aus den Briefen von Erzbischof Eduard Profittlich wissen wir, daß es eine wesentliche Stütze für ihn war, sich im Gefängnis an die glücklichen Zeit seines pastoralen Dienstes als Priester und Bischof zu erinnern und dabei immer wieder auch an seine kleine Gemeinde, an seine Geschwister, seine Familie und seine Freude zu denken. Irgendwann ahnte er aber, daß er alle wohl nicht mehr wiedersehen würde und bat seinen Bruder Stefan, "vom Pastor in Leimersdorf gelegentlich eine Messe lesen zu lassen." Und trotzdem ließ es sein Glaube nicht zu, daß er sich geschlagen gab, er wollte solange nicht aufgeben, wie es überhaupt ein Leben gab, solange, bis ihm die Liebe des Herrn keine Grenze setzte. Sp fragte er sich, wie es bei Jesaja geschrieben steht: "Wächter, wie lange noch dauert die Nacht?" Weil man ihm natürlich sein Kreuz weggenommen hatte, formte er eines aus Brotkrumen und schrieb: "Schaue auf das Kreuz, und du wirst die Lösung für alle Probleme finden, die dich quälen. Schaue auf Ihn, den Herrn, wie er sein Martyrium erlitt, allein, verlassen, gekreuzigt. Am Ende machten die Leute ihre Bemerkungen über diesen Lehrer aus Galiläa, indem sie sagten: 'Andere hat er gerettet, soll er sich doch selbst retten, wenn er der Gesalbte Gottes ist, sein Auserwählter.' So viele Wunder, die Heilungen, Auferweckungen, Unterweisungen. Warum rettet er sich nicht selbst? Die Soldaten trieben ihren Spott mit Ihm: 'Wenn du der König der Juden bist, rette dich selbst.' Im Matthäus-Evangelium sagen die Schriftgelehrten und Priester: 'Andere hat er gerettet, sich selbst kann er nicht retten. Ist er der König von Israel, so steige er vom Kreuz herab, dann wollen wir ihm glauben. Er hat Gott vertraut; der soll ihn retten, wenn er ihn liebt.'"

In dieser Situation schrieb Eduard Profittlich seinen letzten Brief, in dem er um das Gebet seiner Gemeinde bat, "damit Gott mir seine Gnade auch in Zukunft nicht versage, damit ich in allem, was da kommen mag, meinem hohen, heiligen Beruf und meiner Aufgabe treu bleibe und für Christus und sein Reich meine ganze Lebenskraft und wenn es sein heiliger Wille ist, auch mein Leben hingeben darf." Und er fügte hinzu: "Das wäre wohl der schönste Abschluß meines Lebens." Für Eduard Profittlich drückte sich hierin eine beständige Haltung aus, die gerade auch in den kritischen Momenten seines Lebens ungebrochen geblieben ist. So wurde es dann auch zu seinem ganz besonderen Schicksal, daß für ihn, als dem auch heute in Estland noch so sehr verehrten ersten Bischof nach der Reformation, nicht nur seine beeindruckende pastorale Tätigkeit mit allen Hoffnungen, Versuchen und Erfolgen steht, seinen Schwestern und Brüdern den katholischen Glauben in ihrer Sprache und gemäß ihrer eigenen Kultur zu vermitteln, sondern den schmerzlichen Weg des estnischen Volkes bis zu seinem eigenen Lebensopfer geteilt zu haben. Dieses Leiden war für Eduard Profittlich nicht nur ein physisches Unvermögen oder eine moralische Erschütterung, sondern die Entfaltung der Berufung zur Einheit mit Christus, zum Gehen des Kreuzweges. In diesem Sinne gehört er in die Reihe der Märtyrer, wußte er doch, daß sein Tod nicht ein Tod der Niederlage, sondern ein Tod des wahren Sieges ist. Das ist eine der geheimnisvollen Wirklichkeiten des Christentums, die hier in einem konkreten Menschenleben erfahrbar wird. So hat ihn dann auch Papst Johannes Paul II. bei der Gedächtnisfeier für die Zeugen des Glaubens im 20. Jahrhundert des Jahres 2000 als "leuchtendes Beispiel" und "wertvolles Erbe" bezeichnet, der "uns alle als Glaubende unterstützen möge, damit wir ebenso mutig unsere Liebe zu Christus ausdrücken."

Wenn wir heute, sechzig Jahre später, an die Verbrechen denken, denen Erzbischof Eduard Profittlich und mit ihm zusammen Millionen von Menschen in diesem Jahrhundert ausgesetzt waren, macht uns das sprachlos. Erklärungen und letztlich befriedigende Deutungen gibt es nicht. So bleibt uns das Erinnern, wobei dazu auch die Demut gehört, sich die Nichterklärbarkeit der Geschichte einzugestehen. Und zum ehrlichen Erinnern gehört für Christen auch das Wissen um die dunklen Seiten Gottes, der der ganz Andere bleibt, den wir nicht fassen können. Die Geschichte, die Gott mit Eduard Profittlich gegangen ist, ist eine Heils- und Leidensgeschichte. Eine Geschichte, die von einem konkreten Menschen erzählt, von einem Priester, der einen Namen und ein Gesicht hatte, von einem Bischof, der mit seinen Angehörigen verbunden war und der wie jeder einzelne von uns Gefühle von Angst und Hoffnung kannte. Das Unrecht und die Gewalt, die ihm widerfuhren und für die sich keine Worte finden lassen, können wir nur erinnern. Letztlich können wir es nur der Gerechtigkeit und dem Trost Gottes überlassen in der Hoffnung, daß Gott selbst die Tränen trocknen wird. Er allein kann Schuld vergeben und der Gerechtigkeit zum Durchbruch verhelfen. Wenn wir uns als Christen erinnern, so heißt das immer auch, daß wir uns von Gott erinnern lassen, daß dort, wo Menschen erniedrigt, entwürdigt, entmenschlicht werden, Gott selbst erniedrigt, entwürdigt und geschändet wird. Denn im Kern ist die Botschaft vom Anbruch des Reiches Gottes die Botschaft von der kompromißlosen Solidarität, ja sogar von der Identifikation Jesu mit den Entrechteten. "Was ihr dem Geringsten meiner Brüder und Schwestern getan habt, habt ihr mir getan." Der Bußruf Jesu "Kehrt um" weist in eine doppelte Richtung. Er beinhaltet zuerst, sich neu auf Gott hin auszurichten, er heißt aber auch, um dieses Gottes Willen sich neu den Menschen zuzuwenden und Mut zum Widerstand zu haben, wenn Menschen ausgegrenzt, Menschenrechte in Frage gestellt und Menschenwürde mißachtet werden. Nicht jedem ist es gegeben, vor aller Öffentlichkeit Bekenner der Wahrheit zu sein; nicht von allen wird gefordert, für Gott und die Kirche mit Leib und Leben einzustehen. Aber Zeugen der Liebe Christi sollten wir allezeit sein!


© Postulator Causae Beat. seu Declarationis Martyrii S. D. Antonii Malecki et Soc.